Angela Wolters aus Hamburg

Interview-Reihe DIE HOLMBROOKER


Als Angela Wolters von der geplanten Folge-Unterkunft in ihrer Nachbarschaft hört, beschließt die Juristin mit zwei Gleichgesinnten gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen – das ist die Geburtsstunde des Willkommen-Cafés am Holmbrook. Gemeinsam mit 25 Helfer(Innen) bieten Angela Wolters, Susanne Gräper und Claudia von Schultzendorff zweimal die Woche jeweils 2 Stunden die Möglichkeit zum Austausch zwischen Neuankömmlingen und Alteingesessenen.

Vorab schon einmal ein Aufruf: Wer Interesse hat, sich als Freund um einzelne Flüchtlinge oder eine Familie zu kümmern, kann sich an die Cafébetreiber(Innen) wenden unter willkommen@holmbrook.de.

Warum engagierst Du Dich am Holmbrook?

Ich komme aus einem Elternhaus, in dem immer klar war, dass man sich ehrenamtlich engagiert, wenn man die Möglichkeit dazu hat. Zudem kommt, dass meine Mutter selbst geflohen ist, als Kind von Ostpreußen nach Westdeutschland. Das Thema, sich nicht willkommen zu fühlen, war bei uns aufgrund ihrer Erfahrungen immer präsent. Daher kommt vielleicht mein Bedürfnis zu helfen, wenn man helfen kann und es einem selbst gut geht.

Seit September 2015 hat das Willkommens-Café geöffnet. Wie erklärst Du Dir, dass es so gut angenommen wird?

Das Café in den Gemeinschaftsräumen am Holmbrook ist ein _DSC8027niedrigschwelliges Angebot für alle Beteiligten – Neubewohner und Nachbarn. Manchen Nachbarn fällt es trotz Interesse schwer, einfach mal so jemanden auf der Straße anzusprechen, da bietet das Café einen geschützten Rahmen, in dem man den Flüchtlingen, den neuen Nachbarn, auf Augenhöhe begegnen kann. Vor allem sehen wir im Café aber auch, was die Flüchtlinge wirklich brauchen, welche Sorgen sie haben, wo wir helfen können und was wir nicht leisten können. Es werden uns immer wieder Grenzen aufgezeigt. Oft können wir aber Menschen miteinander vernetzen, zum Beispiel die Begleitung zu Behörden oder Arzt-Terminen organisieren, beim Deutsch lernen unterstützen, gemeinsam spielen oder aber einfach nur miteinander ins Gespräch kommen. Das ist wahnsinnig spannend.

Wie organisiert Ihr Euch?

Angela Wolters, Claudia von Schultzendorff, Susanne Gräper

Angela Wolters, Claudia von Schultzendorff, Susanne Gräper

Wir haben gerade zu Beginn bewusst Wert darauf gelegt, dass der Unterstützerkreis nicht zu groß wird, nicht mehr als um die 25 Leute. Wir wollen, dass es einen Wiedererkennungswert gibt, dass die Flüchtlinge in vertraute Gesichter sehen, wenn sie öfter kommen. Das hat sich sehr bewährt. Eine von uns drei Organisatorinnen ist immer im Café. So behalten wir den Überblick, wenn Neuankömmlinge einziehen, Bewohner gehen oder irgendetwas Besonderes anfällt. Wir versuchen immer, mit fünf oder sechs Leuten im Café zu sein, damit genug Zeit ist, mit den Bewohnern ins Gespräch zu kommen und andererseits aber auch die Organisation läuft. Unser Anspruch ist die anfallende Arbeit (Auf- und Abbau, Abwasch) mit den Bewohnern gemeinsam zu erledigen, es soll ein beidseitiges Geben und Nehmen sein.

Was auch noch wichtig ist: Wir bewerten nicht moralisch, warum die Leute hier sind. Es gibt hier auch Menschen aus dem Westbalkan, aber es ist nicht unser Job, die politische Lage zu beurteilen. Wir behandeln alle gleich, egal welche Chancen sie haben, ob sie abgeschoben werden oder nicht.

Wie kommt Ihr mit den Holmbrook-Bewohnern im Café ins Gespräch?

Die Menschen sind sehr offen, teilweise erzählen sie sehr Persönliches. Mit den gehörlosen Bewohnern ist es etwas komplizierter, aber zum Glück gibt es eine Übersetzungs-App, auch damit kann man gute Gespräche führen. Zudem haben wir einen Unterstützer, der die Gebärdensprache kann. Aber es ist wie überall: Manchen fällt der Kontakt leicht, andere sind zurückhaltend. Manche sind ernsthaft traumatisiert, da muss man wirklich aufpassen, dass man sie nicht zu intensiv nach ihrer Flucht befragt. Auf Fortbildungen habe ich gelernt, dass sich die schrecklichen Erlebnisse bei Traumatisierten durch das Immer-Wieder-Erzählen noch tiefer ins Gehirn einbrennen können. Das von der Seele reden ist in dem Moment das Falsche.

Man sollte in jedem Fall auch erst einmal abwarten und die Flüchtlinge nicht überrennen mit einem Wortschwall, den sie sowieso nicht verstehen. Mehr Sinn macht es, sich langsam aneinander ranzutasten.

Am Einfachsten ist der Kontakt natürlich zu den Kindern. Die umarmen uns, kommen angerannt und helfen uns. Teilweise haben wir auch pädagogische Aufgaben, wenn die Kinder das Buffet schneller leer räumen als wir gucken können, aber dann einzuschreiten, das hat man als Mutter ja drauf.

Man kann also einfach so vorbei kommen?

Genau. Einige Nachbarn bringen auch Spiele mit. Ein Herr, der neulich mit seinem Schachbrett kam, war sofort von sechs, sieben Leuten umringt. Eine Dame strickt und bastelt mit den Gehörlosen, andere, z. T. ausgebildete Lehrerinnen, unterstützen bei den Deutsch-Hausaufgaben. Ein ehemaliger Lehrer bietet im Café an Kleinstmöbel selber zu bauen. Das macht er dann mit den jungen Männern an einer Werkbank, zu der er Zugang hat.

Von welchen Sorgen und Hoffnungen hörst Du in Deinen Gesprächen mit den Holmbrook-Bewohnern?

Generell die Zukunftsangst, darf man bleiben, kann die Familie bleiben? Einige kämpfen um den Familiennachzug, dann die Arbeit: finde ich ein Praktikum, habe ich hier eine Chance? Wie schnell klappt es mit dem Deutschlernen, schaffe ich die Zertifikate, die ich brauche, um auf dem Arbeitsmarkt genommen zu werden? Wir bieten auch zusammen mit der Rechtsberatungsgruppe eine niedrigschwellige Erstberatung an, wenn es zum Beispiel um Behördenbriefe geht.

Gibt es Erlebnisse, die Dir besonders wichtig sind?

Die enge Bindung der Kinder. Es ist erstaunlich, wie vertrauensvoll sie mit uns umgehen. Manche Situationen sind aber auch schwer auszuhalten, wenn z. Bsp. Familien abgeschoben werden, mit denen man engen Kontakt hatte. Andere ziehen dann irgendwann aus der Unterkunft in eine eigene Wohnung. Ich habe zwei Umzüge mit zwei Bewohnern mitgemacht, es ist spannend zu sehen, wie sie hier Fuß fassen, ihre Entwicklung mit zu verfolgen.

Es sind nicht so sehr die besonderen Highlights, eher dieses regelmäßige, selbstverständliche herzliche Miteinander. Da ist zum Beispiel ein Albaner, der kaum Deutsch spricht, uns aber sehr oft beim Abwaschen hilft. Darauf legen wir großen Wert, dass es ein Geben und Nehmen bleibt.

Eine besondere Situation fällt mir noch ein: Bei einem der Eritreer hier waren wir spontan zum orthodoxen Weihnachtsfest eingeladen. Die Eritreer sind orthodoxe Christen, sehr fromme Leute. Bei dem Fest wurden eritreische Weihnachtslieder gesungen und wir haben deutsche gesungen. Das sind dann wirklich besondere Momente.

Wie erlebst Du die Arbeit als Ehrenamtliche?

Ich arbeite schon über 10 Jahre in der ehrenamtlichen Rechtsberatung, das hilft mir sehr. Ich weiß, dass man in dem Moment, wo man gefragt wird, 100% geben und auch helfen muss. Dann ist es aber auch wichtig, sich wieder abgrenzen. Man kann nicht jedes Leben vollständig zum Guten führen und nicht jede Situation verbessern. Es gibt auch Frustrationen. Man muss auch Nein sagen können, obwohl man sich theoretisch den ganzen Tag engagieren könnte. Gleichzeitig darf man nicht zu viel versprechen und zu große Erwartungen wecken bei den Flüchtlingen.

Wir wünschen uns natürlich auch Nachhaltigkeit im Ehrenamt, wir sind eine tolle Truppe und verstehen uns alle sehr gut. Um den Zusammenhalt weiterhin zu stärken, laden wir Organisatoren regelmäßig zu gemütlichen Treffen ein, bei denen wir alle uns ganz offen über Erlebnisse positiver oder negativer Art austauschen. Die ehrenamtliche Arbeit ist auch auf der zwischenmenschlichen Ebene ein Riesengewinn für alle. Ehrenamtliche Arbeit gelingt allerdings nur nachhaltig, wenn der Spaßfaktor neben der Sinnhaftigkeit des Tuns erhalten bleibt. Besonders für ältere Leute kann das Ehrenamt sinnstiftend sein, wie bei der älteren Dame, die vor einigen Wochen ins Café kam. Sie wirkte einsam auf mich, hat aber angefangen mit den Kindern zu spielen. In den folgenden Wochen kam sie immer wieder und ist richtig in ihrer Aufgabe aufgegangen und aufgeblüht. Das ist dann für alle eine Win-Win-Situation.

Was wünschst Du Dir für die Zukunft?

Es wäre toll, wenn die Frauen und Mütter, die mit ihren Ehemännern hier sind, selbstverständlicher mit ins Café kommen, sich für ihre neue Umgebung interessieren und Deutsch lernen. Viele leben in ihrer Wohnung, in ihrer kleinen Community und kommen da nicht wirklich raus. Ich hatte neulich einmal so eine Situation, da war die Ehefrau eines Bewohners ausnahmsweise mitgekommen, die habe ich direkt mit einer Deutsch-Lehrerin im Café zusammen gebracht. In diesem Moment konnte der Ehemann nichts dagegen sagen und behaupten, seine Frau brauche das nicht. Da konnten wir einen guten Anstoß geben.

Dann gibt es in der Unterkunft einige junge Männer, 18-Jährige, die aus der Erst-Unterkunft hier gelandet sind, die wissen gerade am Wochenende nicht wirklich was mit sich anzufangen. Da wären Patenschaften – wir nennen das lieber Freundschaften – von Menschen, die sich um einzelne Flüchtlinge kümmern wollen, sehr, sehr hilfreich. Es gibt aber auch Familien, mit denen man solch eine persönliche Freundschaft aufbauen kann. Wir helfen gerne weiter, weil wir die Menschen durch das Café kennen und einschätzen können, wer zu wem passt und wer den größten Bedarf hat.

Im Grunde ist unser Ziel für jeden eine Vertrauensperson zu finden. Das Café ist eine gute Plattform, dort kann man erst einmal miteinander sprechen und gucken, wie die Chemie ist, ob das vom Alter passt und ob man sich sympathisch ist. Man kann dann zum Beispiel zusammen Spaziergänge machen, eine Stadtführung, Café-Besuche, an die Elbe gehen, Deutsch zusammen lernen… eben einfach Zeit schenken. Es geht um das Zwischenmenschliche, gerade am Wochenende, dass die neuen Nachbarn sich hier wirklich einleben und wohlfühlen können. Das wäre das Ziel.