Roni Alias aus Syrien

Interview-Reihe DIE HOLMBROOKER


Interview mit Roni Alias (27)

Ich treffe Roni Alias im Willkommens-Café Holmbrook, wo er gerade für einen anderen Syrer dolmetscht, der einen Brief vom Amt bekommen hat, den er nicht versteht. Roni ist ein sympathischer junger Mann, der sehr gut Deutsch spricht. Man hat den Eindruck, er ist hier schon richtig angekommen.

Woher kommen Sie?

Ich komme aus Kamischli, das ist eine kleine Stadt im Norden Syriens. Meine Muttersprache ist kurdisch. Wir sind Muslime, aber in meiner Familie tragen die Frauen kein Kopftuch.

Wie lange sind Sie schon hier?

Seit etwas über einem Jahr. Die ersten sieben Monate habe ich in der Erstaufnahme Schwarzenbeck verbracht, was etwas schwierig war, denn wir hatten dort zu viert ein Zimmer von acht Quadratmetern, es war also ziemlich eng. Hier in Holmbrook, wo ich seit vier Monaten lebe, ist es viel besser, ich teile mir mit meinem Bruder Dahil (24) ein Zimmer.

Was waren die Gründe, warum Sie geflohen sind?

Ich habe in Syrien englische Literatur studiert und hatte schon eine Stelle als Englischlehrer an einer Schule in Aussicht. Doch dann sagte mir die Schulleitung, bevor ich mit dem Unterrichten anfangen kann, müsse ich erst zum Militär gehen. Das wollte ich auf keinen Fall, also habe ich die Stelle abgesagt und mich auf den Weg nach Deutschland gemacht.

Wie sind Sie geflohen?

Zunächst bin ich nachts zu Fuß in die Türkei gegangen und von da aus 24 Stunden mit dem Bus nach Istanbul gefahren. Zusammen mit neun weiteren Flüchtlingen bin ich dann in einem Lastwagen über Rumänien, Bulgarien, Ungarn und Österreich nach Deutschland gekommen. Für die Fahrt von Istanbul nach Deutschland habe ich, genau wie die anderen, dem Schlepper 10.000 Euro bezahlt. Morgens um vier Uhr wurde ich an einer Tankstelle in einer kleinen Stadt in Süddeutschland abgesetzt und bin dann mit dem Taxi zum nächsten Bahnhof gefahren.

Mit dem Taxi?

(lacht) Ich wusste nicht, wie ich sonst hätte weiter kommen sollen. Ich kannte mich ja überhaupt nichts aus. Eine Frau war mir dann am Bahnhof dabei behilflich, ein Ticket nach Hamburg zu kaufen, allein hätte ich das nicht gekonnt.

Warum wollten Sie nach Deutschland?

Ursprünglich wollte ich nach Großbritannien, weil ich ja englische Literatur studiert habe und die Sprache gut spreche. Aber dafür hätte ich dem Schlepper noch einmal 1.500 Euro zahlen müssen, und mein ganzes Geld war schon für die Fahrt nach Deutschland drauf gegangen. Außerdem habe ich hier in Hamburg Familie: Meine Mutter sowie mein älterer Bruder mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter leben schon seit drei Jahren hier. Also habe ich mir gesagt: Auch gut, dann lerne ich eben eine neue Sprache. Inzwischen habe ich fünf Monate lang Deutschkurse besucht und das B1-Zertifikat erworben.

Wie geht es Ihnen hier?

Es geht mir hier sehr gut, ich finde die Menschen sehr freundlich, offen und hilfsbereit. Auch dass jeder das Recht hat, hier Asyl zu beantragen, finde ich bemerkenswert. Bevor ich hierher kam, hatte ich gehört, die Deutschen seien rassistisch, aber ich habe keine einzige Person getroffen, auf die das zutrifft. Ich finde nur, dass es auf den Ämtern manchmal etwas chaotisch zugeht.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Ich wollte gern noch einen B2-Kurs machen, um mein Deutsch zu verbessern, doch auf dem Arbeitsamt wurde das mit der Begründung abgelehnt, ich müsse arbeiten. Mein Freund, der auf dem selben Sprachniveau ist wie ich, bekam den Kurs dagegen zugebilligt. Es ist also offenbar abhängig von den Mitarbeitern, auf die man trifft. Vor kurzem habe ich mich bei einer Sicherheitsfirma beworben, wurde dort aber nach dem Vorstellungsgespräch abgelehnt mit der Begründung, mein Deutsch sei nicht fließend genug!

Das wundert mich, denn Ihr Deutsch ist sehr gut. Und wie geht es jetzt bei Ihnen weiter?

Ich suche weiter nach einer Arbeit und nach einer Wohnung, was nicht einfach ist, denn ich bin ja nicht der Einzige, wenn ich zu Besichtigungen gehe, sind da mindestens 30 Mitbewerber. Sobald ich einen Job habe und mehr als 1.080 Euro verdiene, muss ich in Holmbrook ausziehen, eine Wohnung zu finden ist für mich also genauso dringend wie eine Arbeit zu finden. Jetzt habe ich einen Job bei McDonalds in Aussicht, wenn das klappen würde, wäre das sehr gut. Langfristig würde ich mich gern zum Industriekaufmann umschulen lassen.

Wie verbringen Sie Ihren Tag?

(lacht) Oh, ich habe immer Termine: beim Jobcenter, bei der Krankenversicherung, auf Ämtern. Manchmal helfe ich auch syrischen Freunden beim Dolmetschen oder ich besuche meine Familie. Die Behördengänge erfordern viel Zeit und man muss dafür immer jede Menge Papiere mitbringen. Aber ich habe inzwischen festgestellt, dass auch meine deutschen Freunde oft von der Bürokratie genervt sind. In Syrien geht alles schneller, aber wir haben auch keine Jobcenter und keine Krankenversicherungen. Bei uns ist vieles rückständiger.

Könnten Sie sich vorstellen, wieder nach Syrien zurück zu kehren, wenn der Krieg vorbei ist?

Das ist eine Frage, über die ich mich auch schon mit meinen Brüdern unterhalten habe. Mein älterer Bruder sagt: Ich habe mich hier eingewöhnt, meine kleine Tochter ist hier geboren, ich bleibe hier. Mein jüngerer Bruder sagt: Kommt darauf an, wenn ich in Syrien Arbeit finde, wäre es für mich okay zurückzukehren. Für mich ist das eine schwierige Entscheidung. Wenn ich hier eine gute Arbeit finde, würde ich vielleicht bleiben, denn die deutsche Gesellschaft ist in vieler Hinsicht weitaus moderner als die in Syrien.

Wenn sich bei uns ein Mädchen verliebt, ist das eine Katastrophe, es gibt keine Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen. Ein Mann darf sich in zehn Frauen verlieben, aber die Frau darf das nicht. Warum? Weil sie eine Frau ist. Ich fand das schon immer absurd und rückständig, mir gefällt ein modernes Leben besser. Wegen meiner Einstellung zur Geschlechtergerechtigkeit haben meine Freunde schon früher in Syrien immer zu mir gesagt: Du musst nach Europa gehen! Was ich dann ja schließlich gemacht habe, wenn auch aus anderen Gründen.