
DIE HOLMBROOKER
Die Redaktion von Holmbrook.de stellt in unregelmäßigen Abständen Bewohner, Nachbarn und andere Menschen vor, die mit der Wohnunterkunft und der Straße Holmbrook verbunden sind.
Wir setzen unsere Interviewreihe fort mit dem Hamburger Abiturienten Lorenz Hertwig, der sich von Beginn an am Holmbrook engagiert hat.
„Am liebsten wäre ich Vollzeit-Ehrenamtlicher“ am Holmbrook!“
Seit wann engagierst Du Dich für Flüchtlinge? Was war Deine Motivation für Dein Engagement und wo bist Du aktiv?
Ich wohne in der direkten Nachbarschaft vom Holmbrook. In dem kleinen Park am Holmbrook habe ich mich schon als Kind immer gerne aufgehalten und gespielt. Außerdem habe ich mich schon lange für Themen wie Politik, Migration und Flucht interessiert. Als ich vom Bau der Unterkunft in meiner Nachbarschaft gehört habe, war für mich klar, dass ich mich für die Holmbrooker Flüchtlinge engagieren wollte. Ich wendete mich an die Nachbarschaftsinitiative „Die Holmbrooker“ und an „Fördern und Wohnen“. Außerdem hatte ich nach dem Ende meiner Schulzeit im letzten Sommer Zeit, so dass ich seit der Eröffnung und dem Einzug der ersten Bewohner Mitte September von Anfang an dabei sein konnte.
Wie sieht Dein Engagement aus, was machst Du mit den Flüchtlingen? Was erlebst Du dabei?
Ich war in der Unterkunft, als die ersten Bewohner am Holmbrook angekommen sind. Ich habe sie einfach angesprochen und geholfen, ihre Sachen in die Wohnungen zu tragen. Jetzt bin ich zwei Mal in der Woche im Willkommenscafé, treffe dort die Bewohner und unterhalte mich locker mit ihnen. Viele Erwachsene haben in den Gesprächen mit den Flüchtlingen so eine hohe Erwartungshaltung. Sie stellen immer Fragen nach Beruf, Sprachkursen und Berufsplänen. Ich übernehme eher den Part für lockere Gespräche und Themen und versuche darüber, den Bewohnern ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern.
Über die Zeit entwickeln sich dann auch ernste Gespräche. Ich bin mittlerweile gut mit zwei syrischen Familien befreundet sowie mit ein paar jungen Männern aus Syrien und Afghanistan. Wenn ich Freizeit habe, versuche ich so viel wie möglich Zeit mit ihnen zu verbringen. Wir sind zum Beispiel gemeinsam in Altona Fußball gucken oder ins Kino gegangen und ich habe ihnen den Stadtteil gezeigt. Am Anfang haben wir mit Händen und Füßen gesprochen, wenn nichts mehr ging hat der Google Übersetzer uns geholfen. Letzte Woche habe ich zum Beispiel auch einem jungen Afghanen dabei geholfen, seine Bewerbung für eine Abendschule zu schreiben und ab und an begleite ich auch mal ins Jobcenter. Da ich zusätzlich noch in einer Hamburger Erstaufnahmeunterkunft arbeite, schaffe ich solche Dinge leider nicht so oft. Ich bräuchte noch viel mehr Zeit, am liebsten wäre ich Vollzeit-Ehrenamtlicher am Holmbrook.
Welche Erfahrungen hast Du gemacht in Bezug auf interkulturelle Unterschiede? Wie gleich oder unterschiedlich sind die jungen Männer aus Syrien, Afghanistan im Vergleich zu Dir und Deinen Freunden oder anderen Hamburgern in Deinem Alter?
Wenn wir uns verabreden, ist das wie bei meinen Freunden aus der Schule oder vom Fußball. Wir tauschen Handynummern aus, schauen wann Zeit ist und verabreden uns. Wir haben am Anfang eher über ganz allgemeine Themen gesprochen, nicht unbedingt über die Flucht, Politik oder andere sensible Themen. Als wir uns besser kannten und sie mir vertrauten, habe ich meine Bekannten auch über ihr Leben in Syrien und das Leben als Familie dort befragt. Ich finde es extrem spannend, etwas über das Land Syrien, die syrische Revolution oder die Kultur zu erfahren. Solche Gespräche bereichern einen enorm. Wenn ich meine Freunde jetzt am Holmbrook besuche, werde ich von der Familie oft zum Essen eingeladen und sie sehen mich als Teil der Familie. Die Menschen sind sehr liebevoll und herzlich. Das ist ein großer Unterschied zur deutschen Mentalität und
spornt mich an, den Kontakt zu den Bewohnern zu pflegen.
20160310_DSCN1182Viele Flüchtlinge sind verunsichert am Anfang, weil sie sich mit unserem Leben und unseren Gewohnheiten in Deutschland nicht auskennen. Meine kurdischen Freunde haben mich zum Beispiel gefragt, ob sie ihren Bart abrasieren sollen. Sie fühlen sich beobachtet und unwohl. Sie haben mir auch Fragen gestellt über Themen wie Sexualität, Feiern und Alkohol und ich habe dann gefragt, wie das bei ihnen ist. Gespräche können ganz viel bewirken. Wenn wir den geflohenen Menschen Dinge erklären und darüber sprechen, was hier so üblich ist und wie die Regeln sind, verstehen sie viele Sachen besser und man kann ihnen die Angst nehmen. „Integration“ erreicht man vor allem durch Nähe.
Wie reagieren Deine Freunde, Bekannte, Familie auf Dein Engagement bei den Flüchtlingen? Und hast Du einen Tipp für junge Menschen, die gerne Flüchtlingen helfen würden, aber bisher nicht wissen, wie und wo sie dies tun sollen?
Meine Familie unterstützt mein Engagement und findet das gut und wichtig. Meine Freunde sind zwar interessiert und finden es toll, aber leider kommen die wenigsten tatsächlich mal mit zum Holmbrook. Das ist entweder eine Zeitfrage, aber auch eine Frage des fehlenden persönlichen Engagements. Wer Geflüchteten „helfen“ möchte, kann ins Café kommen und die Menschen persönlich kennen lernen. Ich habe mal eine Freundin von mir mitgenommen und ihr einige junge Mädchen in ihrem Alter vorgestellt. Danach haben sie sich ein paar Mal getroffen. Wenn man erst einmal einen persönlichen Kontakt hat, kann man sich viel besser für weitere Unternehmungen und Aktivitäten verabreden.
Was hat sich für Dich mental geändert im Hinblick auf Politik, Gesellschaft und konkret die Flüchtlingsthematik, seitdem Du aktiv bist? Und emotional? Hast Du Dich verändert?
Durch den Kontakt zu den Geflüchteten, weiß ich, was für ein Privileg es für mich ist, dass ich hier in Hamburg geboren und aufgewachsen bin. Ich bin sehr traurig darüber, wie sich alles entwickelt hat: die vermeintliche „Willkommenskultur“ vom letzten Sommer ist gekippt, Wohnheime und Flüchtlinge werden fast täglich von Verrückten angegriffen, das Asylpaket II wurde verabschiedet und Europa schottet sich immer weiter ab. Ich kann mich gut in die Rolle der Flüchtlinge versetzen und mir vorstellen, wie schwierig und belastend das für die Geflüchteten hier oft ist, bspw. wenn sie nicht wissen, ob sie in Deutschland bleiben dürfen oder wenn Familien vom Balkan wieder zurückgeschickt werden. Andererseits sehe ich, dass man mit der Holmbrooker Initiative eine Vernetzung im Stadtteil erreicht und Kontakt zu unterschiedlichen Menschen in der Nachbarschaft erfährt. Mit dieser vernetzten Arbeit im Stadtteil konnten wir für die Flüchtlinge schon viel Gutes erreichen und vielleicht auch das ein oder andere Ressentiment abbauen.
Was ist Deiner Meinung nach wichtig, damit sich die Menschen, die Du am Holmbrook kennst, möglichst schnell integrieren können? Was können wir (Nachbarn, Holmbrooker Initiative) besser machen, um das Ankommen der Menschen am Holmbrook zu beschleunigen?
Persönliche Kontakte und Patenschaften sind ganz wichtig für eine schnelle Integration. Wir sollten auf die Menschen zugehen und wir sollten neben dem Café noch weitere Gelegenheiten schaffen, bei denen wir die Bewohner ungezwungen kennen lernen. Und wenn man jemanden kennengelernt hat, dranbleiben, sich wieder verabreden (mit einem festen Termin!) und sie auch mal zu sich nach Hause einladen. Denn die neuen Bewohner sind häufig sehr schüchtern, aber nur so lernt man sich besser kennen.
Das Leben am Holmbrook ist für viele Flüchtlinge noch eher trist. Feste Termine für Freizeitaktivitäten wie Sport, Kinderturnen, eine Teegruppe, Frauenfrühstück, Nähkurse, Ausflüge oder Sprachtreffen bringen Abwechslung und helfen den Menschen. Die meisten Bewohner haben am Anfang Angst und fühlen sich unwohl, wenn sie alleine zu einer Aktivität gehen, deshalb hilft es ihnen sehr, wenn ein deutscher Nachbar sie beim ersten Mal begleitet und ihnen zeigt, wie es läuft.
Ich finde auch, dass es Aufgabe der deutschen Eltern ist, ihre Kinder an das Thema Engagement ran zu führen. Viele Jugendliche sind nur mit sich selbst beschäftigt. Sich zum Beispiel für Flüchtlinge in der eigenen Nachbarschaft zu engagieren, hilft die Problematiken besser zu verstehen und erweitert den Horizont. Ich habe sehr viele wertvolle Erfahrungen gesammelt durch mein Engagement bei den Flüchtlingen.
Anmerkung der Redaktion: Da Lorenz jetzt für einige Zeit nicht in Hamburg ist, können Sie ihn nicht direkt erreichen. Wenn Sie eine Freizeitaktivität anbieten möchten oder sich gezielt um eine Familie oder andere Flüchtlinge kümmern möchten, dann schreiben Sie uns hier.