Gehörlose am Holmbrook – die Söhne der Familie Faghiri

Interview-Reihe DIE HOLMBROOKER


In der Unterkunft am Holmbrook erwartet uns die afghanische Familie Faghiri schon: Frau Faghiri mit Tochter Sadaf (10), die Söhne Mosawer (8) und Mudasser (14). Der Vater hat einen Arzttermin. Dafür ist Mudassers Freund Sajad Moradi (17) zu Besuch. Für mich ist es ein ganz besonderes Gespräch, denn Mosawer, Mudasser und Sajad sind gehörlos. Deswegen ist Gebärden-Dolmetscherin Gabi Finkelmeyer dabei. Sie arbeitet ehrenamtlich bei Deaf Refugees Welcome vom Gehörlosenverband Hamburg und kennt die Familie gut. Sie wird die Fragen an die beiden Söhne übersetzen. Wir dürfen auf den ausgelegten Matratzen im Wohnzimmer Platz nehmen. Über uns hängt ein Vogelkäfig: zwei Kanarienvögel zwitschern darin um die Wette. Im Hintergrund läuft der Fernseher, eine italienische Nachrichtensendung. Dann gibt es Tee, Obst und selbstgebackenen Kuchen, von allem reichlich – afghanische Gastfreundschaft am Holmbrook.

Wo geht Ihr zur Schule?

Mudasser: „Wir gehen beide in die Elbschule, mein Bruder in die erste Klasse und ich in eine spezielle Flüchtlingsklasse für Gehörlose.“

Ist das Lernen hier anders als in Afghanistan?

Mudasser: „In Afghanistan schlagen die Lehrer die Schüler, wenn sie nicht gehorchen. Es gab ziemlich viel Gewalt. In Kabul wo wir gewohnt haben bin ich auch in eine Gehörlosenschule gegangen. Aber die war ziemlich weit entfernt von unserem Zuhause. Meine Mutter hatte viel Angst um mich weil es viele Bombenangriffe gab, sie hat mich ungern allein auf die Straße gelassen. Deswegen bin ich nur 3-4 Monate zur Schule gegangen, danach war ich meist zu Hause, ich war ziemlich isoliert. Hier in Deutschland ist das ganz anders, ich habe das Gefühl in meinem Kopf ist ein Licht angegangen. Ich kann hier viel besser lernen.“

Vermisst Ihr Afghanistan?

Mudasser: „Nein, ich vermisse Afghanistan überhaupt nicht. Es gab so viel Gewalt und Bomben, wir hatten ständig Angst und unser Vater wurde verletzt. Er ist Polizist gewesen und hat Bombensplitter abbekommen, an den Knien und Armen. Zum Schluss ging es ihm auch psychisch nicht mehr gut.“

Mosawer: „Ich vermisse meine Freunde aus dem Kindergarten in Kabul.“

Wie seid Ihr hergekommen?

Mudasser, Sadaf und ihre Mutter erzählen gemeinsam: „Wir sind über den Iran geflüchtet, dann durch die Türkei, von dort mit dem Boot nach Griechenland, dann die Balkanroute über Serbien und Österreich nach Deutschland, mit Schiff, Bahn, Bus und viel zu Fuß.

Das Schlimmste war das Gebirge in der Türkei, das war sehr sehr anstrengend. Meine Mutter und meine Schwester sind öfters hingefallen. Mutter hatte Probleme mit den Knien und hohem Blutdruck. Wir sind mit drei anderen Familien zusammen gelaufen in einer großen Gruppe. Bis zu 16 Stunden waren wir an manchen Tagen unterwegs.

Wir mussten ziemlich viel vom Gepäck zurücklassen, die Koffer die wir dabei hatten waren viel zu schwer. Auch die Hörgeräte, Handys und andere Wertsachen gingen so verloren. Aber es ging einfach nicht mehr. Dann sind wir mit dem Schlauchboot von türkischen Küste nach Griechenland.“

Was ist hier in Deutschland anders?

Mudasser: „Vor allem die Häuser! Hier ist alles viel moderner als in Kabul, daran musste ich mich erst mal gewöhnen und mich hier zurechtfinden.“

Seit einem Jahr lebt Familie Faghiri in der Unterkunft am Holmbrook. Es gab schon einen Ablehnungsbescheid, dagegen geht die Familie mithilfe eines Anwaltes vor. Noch ist nicht klar wie es weitergeht. Die Familie hofft, dass sie bleiben kann; komplette Familien werden eher selten abgeschoben.

Es fällt auf, dass die Faghiris sehr liebevoll miteinander umgehen. Mit den gehörlosen Familienmitgliedern verständigen sich Schwester und Eltern in einer Familien-Gebärdensprache. Das ist nicht selbstverständlich erklärt Gabi Finkelmeyer. Sie hat auch Familien erlebt in denen die gehörlosen Kinder sehr isoliert sind, in denen die Eltern, insbesondere die Väter die Gebärdensprache nicht beherrschen. Das ist tragisch für die Kinder.

Die zehnjährige Sadaf beherrscht die Familien-Gebärdensprache und spricht auch am besten Deutsch. Damit ist sie das Haupt-Sprachrohr der Familie nach außen. Auch Frau Faghiri selbst lernt engagiert Deutsch – das ist für die in die Familien eingebundenen Frauen nicht selbstverständlich. Doch den Kindern fällt das Lernen leichter. Sadaf geht in Groß Flottbek in die Grundschule, sie fühlt sich dort wohl.

Die Integration ist für die Gehörlosen noch schwieriger als für Hörende. Die Kommunikationsbarriere zwischen hörenden und gehörlosen Menschen ist groß. Am Holmbrook leben 7 gehörlose Kinder und 6 gehörlose Erwachsene. Sie alle lernen die deutsche Gebärdensprache. Denn – so Gabi Finkelmeyer – nicht nur die Landessprachen sondern auch die Gebärdensprachen unterscheiden sich, je nach Herkunftsland.

Wie lernt Ihr hier die Gebärdensprache?

Mudasser: „Wir lernen erst die einzelnen Wörter und dann die Gebärden dazu. Das macht aber jeder Lehrer anders.“

Was machst Du nachmittags?

Mudasser: „Ich gehe in die Schule und bin dann hier zuhause oder treffe andere hier am Holmbrook. Dienstag und Donnerstag spiele ich Fußball im Hamburger Gehörlosen-Sportverband mit Freunden.“

Wie stellst Du Dir Deine Zukunft vor?

Mudasser: „Ich möchte gerne arbeiten, mal gucken ob das klappt. Vielleicht bei Mercedes, das wäre mein Traum.“

Und Du, Sadaf?

Sadaf: „Ich weiß schon genau was ich werden will: Ärztin. Am liebsten Ohrenärztin.“
Sajad Moradi (17)

Am Ende des Gesprächs fragt Mudassers Freund Sajad uns aus, er möchte wissen was wir beruflich machen und möchte uns seine Geschichte erzählen. So kommen wir ins Gespräch.

Woher kommst Du und wie bist du hier gelandet?

Sajad: „Meine Eltern kommen aus Afghanistan, aber sie sind in den Iran geflohen, da bin ich dann im Jahr 2000 geboren. Ich wurde aber immer als Afghane behandelt und im Iran mag man die Afghanen nicht. Man unterstellt ihnen, sie würden mit dem IS zusammenarbeiten, egal ob das stimmt oder nicht.

Weil wir ja illegal im Iran waren hatte ich auch keinen iranischen Pass. Deswegen konnte ich auch nie ins Krankenhaus, auch wegen meiner Ohren nicht. Das war schwierig.

Meine Familie wollte lange nicht, dass ich fliehe, aber gefördert haben sie mich auch nicht. Ich wollte aber unbedingt weg, in Afghanistan habe ich keine Chance für mich gesehen und irgendwann durfte ich dann auch gehen, da war ich 15.

Ich bin auch über die Türkei geflohen, auch über die Berge, 4300 Meter hoch war das Gebirge. Vorher dachte ich das ist kein Problem aber das war wirklich hart. Vor allem weil ich Angst hatte dort Vertretern des IS dort zu begegnen. Außerdem ist die Luft dünn und der Weg lang und schwierig. Ich habe erlebt wie Kinder ihre Eltern verlieren, das ist dramatisch, denn alleine haben sie es schwer und die Chance einander wieder zu finden ist in den Wirren der Flucht ist sehr schwierig. Die Überquerung hat mich an meine Grenzen gebracht.

Aber ich hatte Glück, ich bin heil durchgekommen. Das Schlauchboot mit dem ich dann übergesetzt bin in die Türkei ist gekentert, dann kam ein anderes Boot, etwas größer und hat uns gerettet. Ich habe alles verloren, alles was ich hatte, aber ich konnte mich retten.

Im November 2015 bin ich dann in Deutschland angekommen. Am Anfang hatte ich noch Kontakt zu meiner Familie über WhatsApp, aber jetzt eigentlich nicht mehr. Das liegt alles hinter mir. Ich möchte hier ankommen, ich fühle mich hier wohl und ich hoffe hier bleiben zu dürfen und Arbeit zu finden, wenn ich mit der Schule fertig bin.“