Ich lernte die 4-köpfige Familie kennen, als sie im Januar 2016 vom Aufnahmezentrum in den Holmbrook verlegt wurde und anschließend zum Deutschunterricht in die Christuskirche kam. Schnell wurde im Unterricht klar, dass die jungen Erwachsenen eine schnelle Auffassungsgabe und Interesse am Lernen besaßen. Vor allem die älteste Tochter (26) hatte großen Ehrgeiz, die C1-Prüfung für den Hochschulzugang zu erwerben. Der Weg dorthin war dornig, die Examina über A, B 1 und 2 nicht leicht und C1 musste sie zweimal wiederholen, was zu vielen Enttäuschungen führte. Aber seit Oktober 2017 studiert sie Pädagogik in Hamburg als Ergänzung zu ihrem B.A. in Psychologie, den sie bereits in Afghanistan erreicht hatte und der hier anerkannt wurde. Sie ist jetzt im 5. Semester Pädagogik. Die Seminare sind hart und anstrengend, besonders das von der Uni zugewiesene Nebenfach Philosophie, das ohne deutsche, sprachliche Unterstützung eigentlich nicht zu schaffen ist für Neuankömmlinge.
Der Weg des ältesten Sohnes ist bis jetzt nicht ganz so gradlinig verlaufen. Er hat die B2 Prüfung gemacht und eine Ausbildungsstelle zum Industriekaufmann bekommen, doch nach einem Jahr abgebrochen. Jetzt erlernt er ein Handwerk.
Der jüngste Sohn, jetzt 16, blieb damals in Afghanistan, da er zu jung war für eine Flucht. Er pflegte seinen Vater dort bis zu dessen Tod und ist erst durch Familienzusammenführung Ende 2017 nach Hamburg gekommen. Seitdem besucht er eine Stadtteilschule und arbeitet für seine ESA-Prüfung.
Die nun verwitwete Mutter wird sich weiterhin um den dritten Sohn (19) im Rollstuhl kümmern, da Operationen (rezidive Tumore) aussichtslos erscheinen. Neben seiner Lähmung kann der Junge seit 5 Jahren nicht mehr hören und lernt nun die Gebärdensprache.
Wie sieht die Zukunft aus?
Die jüngere Generation bereitet sich wohl erfolgreich auf eine Karriere in Deutschland vor. Der jüngste Sohn möchte einen deutschen Schulabschluss machen und wird es aufgrund seines Fleißes sicher schaffen, die deutsche Sprache richtig zu erlernen. Er hat klare Berufsvorstellungen: am liebsten ein Studium, sonst eine mathematisch ausgerichtete Ausbildung.
Die älteste Tochter spezialisiert sich auf einen Erzieherjob und will mit Migrantenkindern arbeiten, da sie deren Traumata und Zerrissenheit kennt, weil sie diese selbst durchlebt hat. Auch sie kämpft um die Fusion von zwei Kulturen mit der vollen Absicht, in der neuen heimisch zu werden. Manchmal wirkt sie überfordert, da die universitären Anforderungen anspruchsvoller sind als in Afghanistan und die unzähligen, wöchentlichen Behördengänge sämtlich auf ihren Schultern lasten, da sie am besten Deutsch spricht.
Die Aussichten für die drei Kinder sind positiv, auch wenn immer wieder Probleme und Frustrationen bei der Integration auftreten: Anträge beim Jobcenter stellen, häufige Wohnungswechsel, Dokumente ausfüllen, selber behindertengerechte Wohnung finden, Pflegestufe beantragen etc.. Aber diese bürokratischen Erfordernisse können zumindest in deutscher Sprache verbalisiert werden. Die Mutter hat es schwerer, da sie sich 24 Stunden sieben Tage die Woche um ihren pflegebedürftigen Sohn kümmern muss und somit kaum Gelegenheit hat, am deutschen Leben draußen teilzunehmen.
Trotzdem sieht es so aus, als ob diese Familie die Chancen in Hamburg ergreift, die sich ihr bietet.
Eine Erfolgsstory? Time will tell…..